Publikationen, Projekte, Persönliches

28.09.2013

Listening to: The Oracle Glass. Oder: Eine Studie in "Muss das sein?"

Ich habe ja schon so einige Hörbücher vorgestellt und tue das normalerweise auch gern - ein gut gemachtes Hörbuch ist ja quasi wie ein gutes Buch mit Faulheits-Bonus - keine Kopfschmerzen beim Autofahren, kein lästiges, schweres Gepäck im Zug und keine Gefahr im Straßenverkehr gegen den nächsten Laternenpfahl zu laufen...;-)
Trotzdem habe ich mich mit diesem Post unheimlich schwer getan und das liegt (nicht nur) daran, dass einem seine liebsten Dinge am einfachsten verdorben werden können.
Man mag sich also meine anfängliche Freude vorstellen, als ich herausfand, dass eines meiner liebsten Lieblingsbücher - wir sprachen schonmal davon - zwar in der mir bekannten deutschen Fassung schon seit ewigen Zeiten nicht mehr erhältlich ist, aber das nicht für das englische Original gillt.
Da ich sowieso die frendsprachliche Klangwolke bevorzuge, war das für mich quasi eine Win-Win-Situation - oder so hatte ich mir das vorgestellt.

Die Hörbuch-"Lektüre" (was sagt man denn da wohl?) von The Oracle Glass, geschrieben von Judith Merkle-Riley und gelesen von Linda Bruno war allerdings ein steter Test für meine Nerven...warum? Das müssen wir in 2 Komplexe aufteilen:

Die Sprecherin:
Es tut mir ein wenig leid es zu sagen, aber Linda Brunos Leistung als Hörbuchsprechering ist wirklich fast unterirdisch... Ich habe mich zwischendurch gefragt, ob dieser Eindruck vielleicht von einer Art von "Ich hätte das aber anders gemacht" Nostalgie befeuert wurde, aber ich fürchte wirklich nicht. Es mag schon stimmen, dass man bei seinen Lieblingsbüchern, die man 100x gelesen und miterlebt hat, ein wenig schneller bereit ist, kritisch auf "Misstöne" zu reagieren, aber hier muss ich leider sagen, es ist einfach auch objektiv eine Katastrophe, wenn eine Hörbuchsprecherin nicht in der Lage gleichzeitig zu atmen und zu sprechen.^^
Dieser Eindruck mag dadurch entstehen, dass ihr in längeren Passagen ohne Wörtliche Rede das Pacing abhanden kommt und sie immer schneller wird, aber das an sich ist mehr Grund als Entschuldigung!
Aber es wird schlimmer (für mich zumindest)...
Den ausgeprägten (für "Vorleser"-Verhältnisse, hier bin eher Neutralität gewöhnt) amerikanischen Akzent hätte ich ihr eventuell gar nicht angekreidet - das war ein klarer "das gefällt mir persönlich einfach nicht" Punkt - WENN er nicht ihre vollöige Unfähigkeit verstärkt hätte, französische Begriffe und Namen auszusprechen, was in einer Geschichte, die in Paris spielt irgendwann fast unerträglich wird!!
Von stillen Konsonanten in anderen Sprachen hat sie auch noch nichts gehört, also musste ich jedesmal innerlich zusammenzucken, wenn sie die Hauptfigur der Geschichte (Geneviève) als Genewieff und einen anderen wichtigen Protagonisten Deßgrezz aussprechen musste - von Versaillllesss wollen wir gar nicht anfangen.^^ Dass sie sich über einige der schwierigeren Aussprachen tatsächlich scheinbar informiert hat, macht das eigentlich noch schlimmer...
Am Ende war ich so nervlich geschlaucht, dass ich mir von meinen Franzosen tatsächlich die Aussprachen nochmal bestätigen lassen musste, weil ich einfach nicht begreifen konnte, wie man so unprofessionell sein kann - bzw. dass man so trotzdem noch an den Job "Sprecher" kommen kann.
Vielleicht macht es ja auch dem amerikanischen Markt nicht aus und alle sind glücklich, aber mein Liebslingsbuch wurde mir von dieser "Leistung" gründlich verdorben.

Und jetzt kommen wir zum schwierigen Teil (oh ja, leider war das der einfache) - Der Text:
Es ist eine Tatsache, die mir leider erst durch Thomas nahe gebracht werden musste, aber es scheint zu stimmen: Es gab (ich hoffe die Vergangenheitsform ist hier angebracht!!) Zeiten, in denen Übersetzer mitunter den Auftrag bekamen einen Text nicht nur sprachlich zu übertragen, sondern gleichzeitig auf ein gewisses Seitenmaß zurechtzustutzen, damit "Die Serie im Regal nacher schön einheitlich aussieht". Diese Tatsache muss man als Autor und mehr oder minder leidenschaftlicher Leser erstmal verdauen - in meinem persönlichen Verständnis könnte man auch gleich wieder mit Bücherverbrennungen anfangen, wenn man schon so völlig sinnfreie Verstümmelungen von Büchern in Auftrag gibt, aber das mag nur Ausdruck meines persönlichen Grauens sein.^^
Statt einer Comfort-Zone Erfahrung mit einem altbekannten Lieblingsbuch musste ich mir also (zusätzlich zur Sprecherleistung) der Tatsache bewußt werden, dass ich ca. 1/3 des Buches gar nicht kenne, weil es in der deutschen Fassung - die nunmal meine Jugend geprägt hat - einfach mal weggefallen ist.
Anfangs habe ich noch die kleine Zwickmühle erlebt und mir gedacht "Hmmm einige der Kürzungen finde ich aber eigentlich ganz gut, weil das Original gleich am Anfang viel mehr verrät und daher der Aha-Effekt am Ende kleiner ist", aber irgendwann musste ich dann feststellen, dass eine komplette Erzählperspektive einfach mal wegfallen zu lassen, fernab von kleineren Zustimmungsmomenten zu vielleicht nicht völlig unzumutbaren Kürzungen, einfach allem widerspricht was ich im Umgang mit einem fremden Text für akzeptabel halte!
Wenn meine Beta-Leser mir zurückmelden "Puh das aber langweilig, kann man das nicht kürzen?" dann ist das eine andere Situation, denn a) habe ich um dieses Feedback gebeten und b) liegt die finale Entscheidung bei mir und nur bei mir! Sowas ungefragt mit einem fremden Text zu veranstalten, weil man das so besser findet, weil man eine Seitenzahl-Grenze erreichen soll oder aus jedem beliebigen anderen Grund, macht mich einfach traurig und auch ein wenig wütend.
Ich kann schon gekürzte Hörbücher nicht ertragen, da kann man sich vielleicht vorstellen wie groß meine Desillusionierung an diesem Punkt war...

Was kann man also als Fazit stehen lassen? Totalausfall? Wäre nicht wirklich fair, denn zumindest mein Entsetzen über die Textversion ist ja ein Minuspunkt der deutschen Ausgabe, nicht Schuld des Originals. Trotzdem kann ich für das Hörbuch nur 1,5 Punkte vergeben - die Geschichte ist immer noch (oder grade deswegen) super, aber der Hörgenuss stellt sich nicht ein.
Ich denke, ich werde mir das englische Taschenbuch zulegen und das Hörbuch einfach wieder löschen - so haben wir alle was davon!

2 Kommentare:

  1. So painful :(

    Das erinnert mich jetzt dran, dass ich vor langer Zeit mal beschlossen hatte, meine Bücher auf jeden Fall selbst - zumindest ins Englische - zu übersetzen* oder wenn dann nur von einer anderen Person meines Vertrauens handlen zu lassen.


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    *Ignorieren wir mal, dass meine sprachlichen Fähigkeiten dem wahrscheinlich eher nicht so gewachsen wäre....

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  2. Ich kenne dieses Gefühl...zumindest im Englischen könnte ich die Leistung noch einschätzen und diskutieren, aber in allen anderen Sprachen wäre man ziemlich "ausgeliefert"...das gefällt mir nicht!

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Vielen Dank!